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9 Fischbrötchen und Frischluftkonzerte über den Dächern der Hansestadt

Mai 2024
Lübeck | SH
Hamburg
Station 9

Nicht nur ne Dachterrasse, kurze Wege zum Wasser und das kulinarische Angebot der Altstadtinsel haben uns ernsthaft darüber nachdenken lassen, Lübecker zu werden...

Unterwegs mit Eve und Basti
Ein Wohnexperiment quer durch Deutschland.

Maritimes Retro-Wohnen auf der Altstadtinsel

Die bisher einzige Stadt auf unserer Tour, in der wir ernsthaft Wohnungen auf Immoscout gecheckt (und dann schockiert die Seite geschlossen) haben, war die Hansestadt Lübeck.

Dass es uns so gut gefallen hat, lag wahrscheinlich auch an der speziellen Lage unserer Unterkunft am Rande der Altstadt. Halbwegs ruhig und dennoch fußläufig entfernt von allem, was man so brauchte – von Friseur bis Fischbrötchenbude und Supermarkt bis Segelboot.

Weil die Altstadt eine Insel umgeben von Wasser ist, hatte es fast Kleinstadt-Feeling. Auf der Altstadtinsel leben nur 14.000 der insgesamt 220k Menschen Lübecks.

Unsere Ferienwohnung lag mit geschätzten 35 qm im lokalen Altbau-Durchschnitt, fühlte sich dank riesiger Dachterrasse aber deutlich größer an. Mit etwas mehr als 60 € pro qm begaben wir uns in die oberste Mietregion der Brezel-Reise. Dafür eben beste Innenstadt-Lage, mit rarer Ausstattung: einer Garage! 😱

Dass wir den Gönnjamin ausgepackt haben, hat sich in Lübeck zumindest gelohnt❣️

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Wohnen am Koberg
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Wenn man der Gravur am Treppengeländer glauben durfte, stammte das Haus aus dem Jahr 1801. Entsprechend aufzuglos war das Treppenhaus und das Hochschleppen unseres Gepäcks in den vierten Stock eine wahre Freude. 😪

In der aufgehübschten Wohnung im orangefarbenen Retro-Boot-Stil fanden wir themengerecht alles von Galionsfigur, die einen beim Eintreten begrüßte, Sitzkissen in Schollenform, bis zur Terrassenbeleuchtung mit Positionsleuchten. Dank Dauerbrise und dem beständigen Klimpern eines Masts am Nachbargebäude konnte man sich realitätsnah vorstellen, auf dem Deck eines Kutters, statt auf der Sonnenliege zu dösen. 🚤

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Galionsfigur mit Stil
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Sitz-Scholle

Wenn’s auf der Terrasse zu windig war, konnten wir uns auf dem Stressless-Sessel vor dem Fenster die Mai-Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Unseren Lübeck-Aufenthalt haben wir daher ziemlich tiefenentspannt in Erinnerung. 💆‍♀️

Allerdings waren wir zur optimalen Jahreszeit hier: Nicht zu heiß, nicht zu kalt und regelmäßig musikalisches Entertainment: Mal ein Straßenkonzert auf dem Platz vor dem Haus, mal die Marschkapelle der DGB-Demo.

(In der Zeit des maritimen Weihnachtsmarkts soll es laut einer Rezension weniger angenehm sein, weil die Fahrgäste des Riesenrads einem durchs Fenster zuwinken können. 🎡)

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Marschkapelle
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Backfisch an der Trave

An norddeutsche Grußformeln gewöhnten wir uns schnell, outeten uns aber dennoch als Touristen, weil uns der korrekte norddeutsche Singsang fehlte ➡️ „Mooooiin“.

Mit nem Moin begrüßten wir auch alle Tage wieder die Dame an der Fischbrötchen Bude: In fünf Laufminuten waren wir am Wasser, um Backfisch, Bismarck, Matjes oder Moinsener zu bestellen und die Füße über der Trave baumeln zu lassen.

Einzig die Nordseekrabben waren dank Krabbenbrötchen-Krise von allen Fischkarten unseres nordischen Abschnitts spurlos verschwunden.

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An der Wassertreppe
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Briefe empfangen für Postkastenlose

In Lübeck mussten wir uns zum ersten Mal wichtigen Papierkram per Brief aus der Heimat zuschicken lassen.

Unsere Unterkunft hatte keinen richtigen Postkasten, an den wir unseren Namen kleben konnten. Also dachten wir: „Kein Problem! Wenn man sich Pakete an eine Postfiliale schicken lassen kann, dann geht das ganz sicher auch mit nem Brief...“

Haha – 🤡 – Nicht! ➡️

Für diese postalische Meisterleistung muss man den Service „Postlagernd“ nutzen, den die Post 2022 (zum Glück erfolglos) versuchte abzuschaffen.

In einem Test funktionierte der Service so „gut“, dass nur die Hälfte der Briefe beim Empfänger ankam. Viele Beschäftigte der Post wissen nämlich nichts von ihrem eigenen Feature oder was sie mit den komisch frankierten Dingern anfangen sollen. 🤡

Für uns hieß es also: Augen zu und durch 🤞. – Und wir hatten Glück! Der junge Herr in der Postfiliale „kannte das jetzt auch nicht“, hat den Brief aber vertrauensvoll angenommen, weil er sich dachte, „wird schon passen“. 👍

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Ein ostseitiger Inselrundgang: Von Tor bis Tränen

Lübeck war lange auf die Grenzen der Altstadtinsel beschränkt. Obwohl die Stadt schon im 12. Jhd. gegründet wurde, erweiterte sie sich erst 1864 über die heutige Altstadt hinaus. Deshalb hat man hier immer noch das Gefühl, in einer Mini-Stadt zu wohnen.

Umgeben von der Trave und Kanälen waren wir in allen Richtungen in wenigen Minuten am Wasser, um am Ufer zu schlendern und Leuten beim Bootfahren und Rudern zuzuschauen. Vom Wasser umringt zu sein, trauern wir bis heute hinterher. 🥲 – Leider gibt’s nur wenige inselartige (Alt-Städte).

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Burgtor

Unsere ersten Spaziergänge führten uns an der Ostseite entlang, durch das spätgotische Burgtor.

Das Tor am nördlichen Ende der Altstadt ist eines der beiden noch erhaltenen Stadttore von anno dazumal – benannt nach der alten Lübecker Burg, die 1227 zum Kloster umgebaut wurde. (Da kommen wir später noch vorbei...)

1987 war übrigens nicht nur für uns ein jeweils, ähereignisreiches Jahr – auch der Altstadtkern Lübecks erblickte damals als erste gesamte Altstadt Nordeuropas das Licht der UNESCO Weltkulturerbeliste.

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Am Krähenteich
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Lübeck wuchs erst so spät über seine historischen Inselgrenzen hinaus, weil die Torsperre hier ungewöhnlich spät abgeschafft wurde: In mittelalterlichen Städten stand man abends üblicherweise vor verschlossener Tür, weil die Stadttore dichtgemacht wurden. Wer zu spät kam, musste zahlen oder kam gar nicht mehr rein oder raus.

Wie wir bei einer späteren Stadtführung lernten, kommt daher auch die: Torschlusspanik! 🤓

Die Torsperre war zwar ungünstig für Pendler – und die Erweiterung der Stadt – ist aber ein Grund, warum die Altstadt ihr historisches Flair behalten konnte.

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Blick auf den Mühlenteich
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Im Zweiten Weltkrieg wurde Lübeck von einem britischen Bombenangriff stark zerstört – davon ein Fünftel der mittelalterlichen Altstadt. Hinter den historisch wirkenden Fassaden versteckt sich deshalb nicht immer etwas Denkmalgeschütztes.

Viele Wohnungsgrößen scheinen aber mittelalterlich (und heiß begehrt) geblieben zu sein:
Bei einem kurzen Streifzug auf Immoscout fanden wir nur eine Handvoll freier Wohnungen im ganzen Inselgebiet und davon kaum etwas über 40 qm.

Die Idee, Neu-Lübecker zu werden, haben wir also schnell wieder aufgegeben und unsere Tränen am Ende des Spaziergangs mit einem Fischbrötchen getrocknet...

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Fischbrötchen zum Tränen trocknen

Intermezzo in HH: Von Slums und Statement-Vierteln

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Bahnhof Lübeck

Als Freie und Hansestadt hat Hamburg einen Titel mehr als Lübeck, weil sie nicht nur Mitglied der Hanse (dazu später mehr), sondern auch eine der Freien Reichsstädte Deutschlands war.

Ein kurzes Intermezzo für die Arbeit führte uns hierher und so nutzten wir den Tag für eine kleine Stadttour. Vom Lübecker Bahnhof aus waren wir in knapp 40 Minuten mit dem prall gefüllten Doppeldecker-Zug am Hauptbahnhof.

Weil es für Hamburg eine der guten Audiotouren mit GPS von VoiceMap gab, waren wir mit Kopfhörern bewaffnet und ließen uns von einem netten Herren zu historischen Sehenswürdigkeiten lotsen.

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Rathaus Hamburg

Am Rathaus drückten wir auf Play und wurden vom Sprecher gleich darauf hingewiesen, uns das Jahr 1842 zu merken: Im „Great Fire“ 🔥 wurden viele Gebäude der Stadt zerstört – darunter das alte Rathaus. Das Neue Rathaus konnte 1897 erst nach 55 Jahren Bauzeit eingeweiht werden, weil immer wieder Streiks, Revolutionen oder Epidemien dazwischen schossen.

Dafür hat das Neue Rathaus ganze 647 offizielle Räume. Ein Wunder, wenn sich da noch jemand auskennt – aber kein Wunder, dass 1971 beim Fischen nach einem Dokument zufällig ein bis dato unbekanntes Zimmer hinter einem Aktenschrank entdeckt wurde.

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Fahnenmast vor dem Rathaus
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St. Petri
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Finanzamt Hamburg

Nach diversen Kirchen-Stationen kamen wir an einem monumentalen Sandsteinbau vorbei, der optisch aus dem Meer der Backsteinfassaden heraussprang.

Sandstein war teurer, schwerer und exklusiver als Backstein und damit ein klares Statement – von Karstadt. Wo heute das Finanzamt rechnet, saß ab 1921 die Konzernzentrale der Karstadt AG und wollte mit ihrem neoklassizistischen Bunker Macht und Stabilität ausstrahlen. – Damals wussten sie noch nichts von der Geschichte ihres Niedergangs ...

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Sprinkenhof

Das Wort „monumental“ kam einem auch beim Sprinkenhof in den Sinn. Bei dessen Entstehung hatte aber nicht Karstadt die Hand im Spiel, sondern die Cholera:

Der Klinkerbau entstand ab 1925, erstreckt sich über neun Stockwerke, drei Innenhöfe und war zeitweise das größte Bürogebäude Deutschlands​.

Hundert Jahre zuvor sah es hier aber noch ganz anders aus: Beim Great Fire 🔥 wurde die ganze Gegend zerstört und danach entstanden verarmte Slums. Die eng bebauten Gängeviertel wurden 1892 von einer riesigen Cholera-Epidemie heimgesucht – mit fast 9.000 Opfern. Weil Hamburg einen Tidehafen hat, floss das Abwasser in die Elbe, aber kam mit der Flut wieder zurück. Optimale Wohnbedingungen für Vibrio cholerae 🦠...

Nach der Epidemie begann eine große Sanierung. Nach und nach wurden die Gängeviertel abgerissen und mit dem Kontrastprogramm ersetzt: Zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg entstand das Kontorhausviertel, zu dem auch der Sprinkenhof gehört.

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Die mehrstöckigen Bürogebäude (Kontorhäuser) im Stil des Klinkerexpressionismus wurden vor allem von Firmen im Überseehandel, Reedereien oder Versicherungen genutzt.

Kurz hinter dem Sprinkenhof stießen wir auch noch auf das bekannteste Kontorgebäude im Viertel: Das Chilehaus.

Berühmt ist es vor allem wegen seiner sonderbaren Form, die an einen Schiffsbug erinnern soll.

Der damals reichste Mann Hamburgs, Henry Sloman, hatte das Chilehaus für sein boomendes Importbusiness in Auftrag gegeben. Er war durch seinen Salpeter-Handel mit Chile reich geworden – daher auch der Name. Das (zweite) „weiße Gold“ (neben Salz) wurde an allen Ecken und Enden gebraucht:

Zum Beispiel als Hauptbestandteil von Schwarzpulver zur Herstellung von Sprengstoff für Bergbau und Kriegsindustrie, aber v.a. als Dünger für die durch exzessive Landwirtschaft ausgelaugten Böden.

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Chilehaus
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Poggenmühlenbrücke
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Speicherwinde

Auch an unserem nächsten Tour-Spot, der Speicherstadt, mussten früher arme Wohnviertel für die Stadtentwicklung weichen 🏚️.

Um Platz für den großflächigen Lagerspaß zu schaffen, mussten die zwei früheren Gängevierteln der Elbinsel weichen. 20.000 Menschen wurden zwangsumgesiedelt und mussten die Kosten dafür größtenteils selbst tragen. Nur die Eigentümer der knapp 1000 abgerissenen Häuser erhielten eine Entschädigung.

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Wandrahmsfleet-Brücke

Nach dem Beitritt Hamburgs zum Deutschen Kaiserreich 1871 blieb die Stadt weiter zollfreies Gebiet. Um ihr wirtschaftliches Standing zu verbessern, konnte Hamburg zehn Jahre später einen Zollanschlussvertrag verhandeln. Damit mussten sie aber auf Waren, die in den Hafen einschipperten Zölle erheben – theoretisch...

Um den internationalen Handel nicht zu behindern und weiterhin einen attraktiven Umschlagplatz zu haben, beschloss man in dem Vertrag einen Kompromiss:
Hamburg musste einen Freihafen mitsamt der Speicherstadt als Lagerkomplex bauen. Was hier lagerte, musste nicht verzollt werden und war einfacher weiterzuverschiffen.

Auf den freigeräumten 26 Hektar der ehemaligen Gängeviertel entstand so ab 1883 über mehrere Jahrzehnte die Hamburger Speicherstadt.

Der größte zusammenhängende historische Lagerhauskomplex der Welt steht (bis heute) auf Millionen von Eichenpfählen, die bis zwölf Meter tief in den Schlick der aufgeschütteten Elbinseln versenkt wurden. – Für damalige Verhältnisse eine technische Meisterleistung.

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Fleete in der Speicherstadt
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Im Zweiten Weltkrieg wurde die Speicherstadt zu über 50 Prozent zerstört und bis in die 1960-er wieder aufgebaut. Durch den Siegeszug der Containerschifffahrt und moderner Logistiklager verlor sie aber immer mehr an Bedeutung.

Wo früher Kaffee, Tee, Kakao oder Gewürzen lagerten, findet man heute diverse Museen, Restaurants, ne Kaffeerösterei, das Miniatur-Wunderland oder den Hamburg Dungeon – einer interaktiven Grusel-Geschichtsstunde, komplett mit Schauspiel, Freifallturm und Wasserbahn.

Nur Teppiche der Teppichhandel lagern in der Speicherstatt weiter in großem Stil. Hamburg war früher nämlich einer der wichtigsten Umschlagplätze für Orientteppiche.

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Blick auf's Wasserschloss

Einer der bekanntesten Spots der Speicherstadt ist das Wasserschloss. Hier wohnten früher die Wärter, die die Winden warteten. 🔧

Alle Lagergebäude waren sowohl von der Straße als auch von den Fleeten (Wasserwegen) aus erreichbar. Mit den Speicherwinden konnten die Waren aus den Schuten (Booten) an den Fassaden entlang in die Speicher (und zurück) gekurbelt werden.

Heute wartet im Wasserschloss keiner mehr – stattdessen konnten wir im Teekontor ein paar ess- und trinkbare Souvenirs einsacken.

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Wasserschloss
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Teekontor im Wasserschloss
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Fleetschlösschen

Ein Stück weiter kamen wir auch schon am nächsten Schloss der Speicherstatt vorbei. Das Fleetschlösschen an einem der kleinen Elbkanäle hat eine bunte Geschichte: Das heutige Restaurant war früher mal ein Zollgebäude, eine Brandwache und wird in der Denkmalliste Hamburgs noch als ehemaliges Toilettenhäuschen geführt 👀 .

Weil uns nach dem langen Marsch der Hunger plagte, machten wir hier halt für ne Runde Fischbrötchen und fritz-kola. An die unserer heimischen Fischbude kamen sie aber geschmacklich nicht ran. 🙂‍↔️

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St. Annenplatz
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Elbphilharmonie

Der letzte Stopp unserer historischen Tour war schon von Weitem zu erkennen: Ein 110 m hoher Block in der Hafen City, in dem man 37 m in der Luft Menschen in Ameisengröße um den Plaza-Balkon schlendern sah.

Vom Namen her würde man in der Elbphilharmonie ein reines Konzerthaus erwarten. Der gläserne Kasten, der architektonisch an Segel, Wellen und Eisberge erinnern soll, beherbergt aber auch noch ein komplettes Hotel, Luxuswohnung und Restaurants.

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Um die frickeligen Fenster der Fassaden glänzend zu halten, muss dreimal im Jahr eine dicke Patina aus Rußpartikeln von den konkav, konvex, konisch oder spitz zulaufenden Scheiben gekratzt werden. (Die Abgase des Schiffsverkehrs und des nahegelegenen Flughafens hinterlassen hier ganzjährig ihre Ablagerungen.) Bis zu 10 speziell ausgebildete Industriekletterer müssen für diese teure Meisterleistung (50k €) je vier Wochen lang schrubben.

Eine Meisterleistung war übrigens auch die finanzielle Planung des modernen Wahrzeichens: Mit den ursprünglich kalkulierten 77 Millionen Euro hatte man sich geringfügig um 1025 % verschätzt. Acht Jahre und 866 Millionen Euro später konnte 2016 endlich das erste Konzert erklingen. 🎉 (Der Großteil davon Steuergelder, aber Luxuswohnungen nicht mitgerechnet...)

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Cheers!
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U-Bahnhof Baumwall

Während sich die Meinungen im Freundeskreis zu Berlin spalteten, hatten alle Befragten von Hamburg geschwärmt. Leider konnten wir mit unserer Tour nur einen kleinen Ausschnitt sehen. Weil zu viel Freizeitstress bekanntlich auch nicht gesund ist, ließen wir das „Tor zur Welt“ einfach auf unserer Urlaubsliste für Ex-Brezel-Nomaden stehen.

Zum Abschied stießen wir mit einem Eis an, ruckelten vom nahegelegenen Bahnhof aus zurück nach Lübeck und ließen den Tag mit dem mitgebrachten Franzbrötchen-Likör ausklingen. 🤤

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Souveniers vom Teekontor

Ein westseitiger Inselrundgang: Von Specialty Coffee bis Salzhering

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Unseren obligatorischen Test lokaler Specialty Coffee Röster führten wir auch in Lübeck durch und schwangen uns ein paar Mal bei Cycle Roasters vorbei, um das Sortiment abzuräumen. Das kleine Café lag, wie fast alles, praktisch in Laufnähe. (Wohnen in der Innenstadt hatte schon seine Vorteile...Warum wollten wir früher nochmal aufs Land ziehen? 🤔 – Egal....)

Inspiriert von der Aussicht über die Dächer der Stadt bauten wir mit den eingesackten Kaffeetüten zu Hause unsere eigene Turmlandschaft.

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Nachdem wir die Ostseite der Insel mehrfach abspaziert hatten, stand noch die etwas touristischerer Westseite aus. Einmal rechts die Straße runtergelaufen waren wir an der Trave, mit dem Hafen im Rücken. Dort befand sich früher das Zentrum der Lagerhäuser und Werften.

Heute wird der Lübecker Stadthafen nicht mehr für großen Frachthandel genutzt. Aus unserem Badezimmerfenster konnten wir trotzdem den ein oder anderen Riesenkutter bei der Durchfahrt beobachten – oder tanzende party people im Strandsalon.

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Museumshafen
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Unser Weg führte Richtung Süden, am Museumshafen vorbei. Hier lagen einige historische Segelschiffe an, mit denen man Rundfahrten buchen konnte.

An einem sonnigen Wochenende geben sich Boote, Ruderer und Kanus auf dem Freizeitfluss die Paddel in die Hand. Bei einer Sightseeing-Rundfahrt auf der Trave kommt man auch an einem der Wahrzeichen der Stadt vorbei: den ehemaligen Salzspeichern.

In den schicken Backsteinhäusern findet man heute Geschäfte oder Restaurants. Im Mittelalter wurde hier aus Lüneburg angeschifftes Salz gelagert, das besonders zur Konservierung von Hering nötig war. 🐟

Gesalzener Hering war früher nicht nur ein wichtiges Wirtschaftsgut, sondern de facto Grundnahrungsmittel:

Dank fragwürdiger kirchlicher Vorschriften war die Hälfte des Jahres Fastentag und Hering eine der wenigen Eiweißquellen, für die man nicht vom Blitz erschlagen wurde. ⚡️

Mit der Erfindung des Kühlschranks und dank päpstlicher Lockerungen wurde der Salzspeicher irgendwann obsolet. Später nutzte man den Komplex noch eine Weile als Warenlager – oder als Filmkulisse für Nosferatu (1922) .

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Lübecker Salzspeicher
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Kunstautomat
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Boccia-Feld
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Ausblick St. Petri & Marienkirche
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Dankwartsbrücke

Eines der ersten Kommentare Bastis beim Durchlaufen der Stadt war: „Der rechte Winkel wurde hier aber nicht erfunden...“. 🤨 Die Schräglage von Türmen und Wänden auf den Fotos liegt tatsächlich nicht (nur) an den komischen Aufnahmewinkeln der Handykamera. 😬

Apropos Türme: Die Altstadt wird auch „Stadt der sieben Türme“ genannt. Weil die Insel früher in viele Wohnbezirke eingeteilt war und jeder Berufsstand ne eigene Kirche besuchte (z.B. die Kirche der Seefahrer und Fischer), ist die Kirchturmdichte auf der Insel unnatürlich hoch.

Normalerweise ... buchen wir immer Unterkünfte fernab jeglicher Kirchtürme. Das Geläute reißt einen sonst zu gottloser Stunde aus dem Schlaf. Und viele Kirchen hören sich an, als wären sie nie aus dem Stimmbruch gekommen.

In Lübeck wohnten wir ausnahmsweise direkt gegenüber 🔔. Doch statt langweiligem „Ding Dong“ zogen hier mehrstimmige Glockenspiele über die Dächer hinweg und trällerten ab und zu bekannte Volkslieder. – Fast schon unterhaltsam statt nervig 🤔. Sollte man überall einführen...

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Ausblick Lübecker Dom
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Kaisertor
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Alte Mühle

An der Südspitze der Altstadtinsel kamen wir am Kaisertor und der Alten Mühle vorbei. Das Tor war Teil der mittelalterlichen Stadtbefestigung Lübecks und sollte unter anderem die lebenswichtigen Wassermühlen vor Angriffen schützen.

Wassermühlen waren das Schweizer Taschenmesser des Mittelalters (hatten wir das nicht schon in einem Beitrag?! 🤔) und übernahmen alles Mögliche, wie Getreidemahlen, Schmiedehämmern oder Holzsägen... bis die Dampfmaschine kam.

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Lübecker Dom
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An der Promenade
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Schwimmender Bus

Unser westlicher Inselrundgang wurde ziemlich lang und ziemlich heiß 🥵. An der Promenade ergatterten wir zum Glück noch einen freien Tisch. Mit einem kühlen Bier in der Hand beobachteten wir leicht angedüddelt die vorbeischwimmenden Busse – oder noch angedüddeltere Väter, die mit nem Bollerwagen durch den Vatertag rodelten.

Eine Splashtour im geschlossenen Gefährt hat uns jetzt nicht so angelacht, ist aber ne gute Option wenn man einen Sonnenbrand vermeiden will. – Hier hat sogar jemand das Eintauchen des Amphibienbusses mitgefilmt:

Statt Fischbrötchen aus der Bude probierten wir eines Mittags auch mal die Restaurant-Version und bereuten es im Nachhinein ein wenig...

Nicht weil es im Fangfisch schlecht schmeckte – ganz im Gegenteil. Aber um eine komplette Scholle mit (Mayo-)Kartoffelsalat und eine Portion Fish & Chips unterzubekommen, braucht man hier mindestens vier Mägen. (Nur so als Vorwarnung... ⚠️)

Den Rest des Tages lagen wir erstmal im Food-Koma auf der Couch und rollten maximal für ein Eis runter...

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Restaurant Fangfrisch
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Riesige Scholle
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Fish & Chips

Nom nom: Marzipan!

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Niederegger Stammhaus

Um uns über die Fischbrötchenpause hinwegzutrösten, gab’s in Lübeck zum Glück genügend kulinarische Alternativen:

Seit 1806 sitzt hier die Marzipanmanufaktur Niederegger und ist in siebter Generation in Familienhand. Die täglich produzierten bis zu 30 Tonnen Mandel-Zucker-Masse landen in über 40 Ländern weltweit.

Auf unserer Reise konnten wir den Lübecker Exportschlager (fast) im ganzen Land im Supermarkt finden.

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Nein, es ist nicht der Mittelfinger...
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Marzipanfiguren

Im Niederegger Stammhaus gegenüber dem Lübecker Rathaus stopften wir uns an diesem Tag nicht nur die Taschen mit Marzipan voll, sondern besuchten auch das Marzipanmuseum im zweiten Stock.

Hier kann man sich die Geschichte der Mandel, des Marzipans und der Firma zu Gemüte führen, riesige Marzipanfiguren beäugen und inzwischen auch 3D-gedruckte Exemplare.

Wie wir später noch sehen werden, ist die Marzipanversion des Holstentors aber deutlich gerader als das Original... 🤨

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3D-Marzipan
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Holstentor aus Marzipan

Die eigentliche Marzipan-Fabrik befindet sich nicht im Stammhaus, sondern ein paar Kilometer weiter.

Durch die Infotafeln im Museum erfuhren wir, warum „Lübecker Marzipan“ mind. 70% Mandeln enthalten muss und klärten die Frage, ob die Süßigkeit in Lübeck, Estland oder doch im Nahen Osten erfunden wurde.

Unsere inzwischen löchrige Erinnerung konnten wir praktischerweise mit diesem kurzen Galileo-Beitrag auffrischen:

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Karte Lübeck 1808

Vor der Heimkehr nahmen wir noch einen „kleinen Snack“ von der Kuchentheke im Erdgeschoss mit, der so dick mit Marzipan umhüllt war, dass wir ihn auf zweimal essen mussten. 😮‍💨

Dennoch war unsere Zeit in Lübeck der Beginn einer persistenten Marzipan-Phase, die uns auch ein paar Bundesländer weiter noch begleitete.

Mit zunehmender Entfernung zum Norden nahm die Auswahl allerdings ab. Eine bestimmte Sorte suchen wir außerhalb Lübecks bis heute vergeblich. 🥲

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Marzipanlastiger Kuchen

Über die Hochburg der Hanse

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Stadthafen
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Burgtreppe
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Museumsshop

Wo einst die Lübecker Burg zum heutigen Burgkloster umgebaut wurde, findet man auch das Hansemuseum. Bei unserer Ankunft hatten wir es gar nicht auf dem Touri-Radar und lief nur zufällig dran vorbei.

Das Museum war am Ende so interessant, dass wir nach der Führung mit nem Guide noch eine eigene Runde drehten. Bevor es zur Tour runter (in den Keller) ging, warteten wir im Museumsshop und konnten uns knapp davon abhalten, eine kleine Flotte Klemmbaustein-Schiffchen einzupacken. 🫣

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Grabungsstätte im Museum

Die Tour begann mit einer Aufzugfahrt in die unterirdischen Katakomben. Um zur Ausstellung zu gelangen, mussten wir uns durch eine archäologische Grabungsstätte schlängeln.

Das Museum wurde 2015 in das historische Burgkloster integriert. Teile des Kloster-Fundaments, Reste der alten Stadtmauer und anderer Überraschungen wurden erst bei den Bauvorbereitungen entdeckt und dann in die Museumsarchitektur integriert.
– So wie eine klösterliche Backsteinkloake aus dem 15. Jahrhundert. 💩

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Backsteinkloake
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Abgebrannte Burgbefestigung 9. Jhd.
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Installation im Museum

Durch eine große Glastüre betraten wir das eigentliche Museum, in dem die 800 jährige Geschichte der Hanse erzählt wird:

Die Hanse (vom althochdeutschen hansa = „Schar") war eine Gruppe nordeuropäischer Kaufleuten und Städte, die sich ab dem 13. Jhd. zusammenschlossen, um "Eine Hand wäscht die andere" zu machen.

Über die Jahrhunderte entwickelte sie die Hanse zu einem mächtigen Handelsnetzwerk in Nordeuropa. Auf dem Höhepunkt waren 200 Städte dabei – von London im Westen bis Nowgorod im Osten. Handelswege hatte man von Portugal bis Russland und Skandinavien bis Süditalien – das Kernhandelsnetz war aber deutlich kleiner. Im Süden dominierten andere Handelsmächte wie Venedig, Genua und Florenz – und die Fugger gab’s ja auch noch... 😏

Mit Fernhandel konnte man sich damals eine goldene Nase verdienen und durch die Gruppenbindung ging der Handel einfach einfacher von der Hand 👉 Profitmaximierung. Außerdem konnte man sich gemeinsam besser gegen säbelrasselnde Piraten wehren, die den Kaufleuten auf den Hanselreisen in die Quere kamen. – So wie Störtebeker. Richtig...der Dude, nach dem das Bier benannt ist. 🍻

Allerdings war die Hanse keine politische Gruppe, sondern mehr eine Art Genossenschaft mit rein wirtschaftlichen und finanziellen Zielen. Die Mitgliedschaft war freiwillig und die Strukturen flexibel – anders als in einem Städtebund.

Trotzdem durfte nicht jeder beitreten:
Um sich für die Hanse bewerben zu können, musste eine Stadt mindestens ein Portfolio mit strategisch günstiger Lage an wichtigen Handelswegen, wirtschaftlicher Stabilität und politischer Zuverlässigkeit vorlegen. – Also ohne Moos wieder nix los... 💰

Die Gründung Lübecks 1143 war ein entscheidender Faktor für die Geburt der Hanse, weil durch die erste deutsche Ostseestadt wichtige Handelsziele Richtung Osten erreichbar waren. – Und wer konnte schon „Nein“ sagen zu flauschigem Pelz und leckerem Honig aus Russland, oder dem eiweißreichen Hering aus Schweden.

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Kerngebiet der Hanse
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Nachdem sich der dänische König im 14. Jhd. das schwedische Visby einverleibt hatte, musste sich die Hanse eine neue Zentrale suchen.

Auftritt: Lübeck.

Als neue „Königin der Hanse“ wurde Lübeck zeitweise sogar zur wichtigsten Handelsstadt Nordeuropas. (Damit erklärt sich auch, warum hier das größte Museum zur Geschichte der Hanse steht.) Und aus dem Lübecker Hafen liefen die Koggen ab jetzt wie am Fließband aus. ⬇️

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Das Haupthandelsschiff der Hanse war ultraeffizient und vielseitig einsetzbar – ein Thermomix der Meere:

Eine Kogge konnte mit kleiner Besatzung zwischen 80 und 200 Tonnen Waren transportieren, sowohl an der Küste als auch auf der Hochsee schippern und zur Not sogar zum Kriegsschiff umgebaut werden.

Mit dieser Liste unschlagbarer Features war sie über mehrere Jahrhunderte die Dominatrix aller Handesrouten auf Nord- und Ostsee.

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Model Kollerup-Kogge
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Weil es immer wieder zu Streit zwischen den Kaufleuten der Hanse-Familie kam, schuf man irgendwann einen Bußgeldkatalog. Das Poster im Foto zeigt die Strafgebühren in „Mark Marder“: Eine gewöhnungsbedürftige Währung, die im Handel mit Russland genutzt wurde. Speziell in Nowgorod akzeptierte man Marderköpfe als Zahlungsmittel. 👀

Ein Vergehen konnte je nach Staffelung recht kostspielig werden: Einer „Frau oder Tochter Gewalt angetan“ war mit 20 MM noch recht günstig – die Hälfte davon ging allerdings nicht an die Frau, sondern an den Fürsten (warum auch immer...). Das Erschlagen eines Kaufmanns (250 MM) oder Boten (500 MM) konnte schon ein substanzielles Loch in den Goldbeutel reißen. – Priester konnten ebenfalls zum Preis eines Boten erschlagen werden. ✝️

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Bußgelder in Mark Marder
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Tafel mit Exportgütern
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Mit der Hanse entstanden auch die Kontore: Eine Niederlassung von Kaufleuten in einer fremden Stadt. Hier wurden Waren eingekauft, gelagert und verkauft. Zusätzlich dienten sie als diplomatische Vertretung der Hansestädte: Der Leiter war oft auch Gesandter und konnte mit den lokalen Machthabern verhandeln.

Die Pest im 14. Jhd. kam der Hanse mitten in ihrer Blütezeit allerdings nicht gelegen: Der Handel stagnierte europaweit und Yersinia pestis halbierte die Bevölkerung innerhalb von 100 Jahren. Das Licht am Ende des Tunnels: Der entstehende Arbeitskräftemangel führte zu höheren Löhnen, höheren Lebensstandards und sogar einem „goldenen Zeitalter für die Arbeit“. ... (Mal sehen, ob es nach unserer Dezimierung durch KI auch so läuft ... haha *verzweifeltes Lachen*)

Auch wenn es seit dem Aus der Hanse keinen „Kontor“ im historischen Sinn mehr gibt, findet man die Bezeichnung im Norden noch überall im Namen von Geschäften: Vom Teekontor bis zum Nudelkontor.
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Die schläft nur...
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Weinhaus
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Hansetag

Auf den Hansetagen kamen die Abgesandten der Hansestädte über mehrere Wochen zusammen, um Anträge auf Mitgliedschaft zu diskutieren, Handelsgedöns zu besprechen oder Maßnahmen gegen die Konkurrenz zu planen (englische Händler 🇬🇧 und so).

Der erste Hansetag fand 1356 in Lübeck statt. Im Museum ausgestellt ist aber der feuchtfröhliche Hansetag aus dem Jahr 1518.

Weil der Hansetag ein bedeutendes Ereignis war, wollten die Kaufleute auch ihren Prunk zur Schau stellen. Wie hart man zur Sache ging, demonstriert die Speisekarte eines Sonntagmittags ⬇️

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Speisefolge Hansetag 1518
Speisefolge Sonntagmittag 1518
  • Vier Schüsseln mit Schinken, dazu Rinderbraten mit Senf und Oliven 🍗 🐄 🫒
  • Gesottenes Wildbrät 🥘
  • Schafsragout mit Gewürzpulver 🐑
  • Topfbraten mit Rosinen 🥘
  • Mandelmost mit Heidnischen Kuchen 🍷 🍰
  • Braten von einem großen Hirsch, dazu Orangen 🦌
  • Ein Schwan, auf der Brust geschmückt mit dem Wappen des Kaisers 🦢 ⚔️
  • Ein Pfau, geschmückt auf feine Art mit dem Wappen 🦚 ⚔️
  • Ein gebackener, vergoldeter Hirsch 🦌 💰
  • Zweierlei Gebäck 🥮 + 🥮
  • Butter und Käse, dazu Lübsche Kuchen 🧀 🍰

Ob die Teilnehmenden des Hansetags nach ihrem Lunch noch sinnvolle Gespräche führen konnten oder den Rest des Tages mit akuten Magen-Darm-Beschwerden über der Latrine hingen, bleibt ein Mysterium...

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Lecker getrockneter Hering
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Eine Aufzugfahrt später verließen wir die Katakomben des Hansemuseums wieder und erblindeten halb vom strahlenden Sonnenschein. – Bestes Dachterrassen-Wetter:

Den Rest unseres letzten Wochenendes in Lübeck verbrachten wir auf der heimischen Sonnenliege und mit Entstress-Hobbies für erwachsene Spielkinder, wie Malbuchmalen beim alte Akte-X Folgen gucken – oder in Bastis Fall: Magic zocken.

Das Auftanken der Batterien erwies sich als schlaue Idee, denn ein paar Tage später sollten wir eine spontane Rundreise epischen Ausmaßes antreten. ⬇️

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Vom Friseur in den Nightjet

Wer mehr über die lokale Kultur, politische Stimmung oder den Wohnungsmarkt einer Stadt lernen möchte, muss sich einfach mal beim Friseur vier Stunden lang Strähnchen machen lassen. 💇‍♀️ So geschehen am letzten Dienstag in Lübeck:

Während einem das Haupt in Alufolie eingewickelt wurde, erfuhr man beispielsweise, dass der Wohnungsmarkt auch in den Einzugsgebieten rund um die Stadt ein Trauerspiel ist. Selbst weit außerhalb von Lübeck sei kaum noch etwas Erschwingliches zu finden.
Friseurin Nr. 1, mit Bezug auf ihre derzeit (noch) finanzierbare Wohnsituation: „Ich kann da nie wieder ausziehen!“

Kurz darauf berichtete Friseurin Nr. 2 allen Anwesenden im Salon von ihrem ereignisreichen Vormittag:

Auf dem Weg zur Arbeit erspähte sie, dass sich eine gewisse Partei erdreistet hatte, einen Stand mitten auf ihrem Dorfplatz aufzustellen. Diesen Affront nahm sie zum Anlass, ihr Auto direkt vor dem Stand zu parken und mit offenen Fenstern lautstark ein Lied der Ärzte abzuspielen. Dass der Bäcker nebenan zu scheu war, um bei ihrer impromptu Freiheits-Demo mitzuwirken, ließ sie am Nachmittag immer noch irritiert den Kopf schütteln.

Kaum waren die Haare fertig entgraut, klingelte ein wichtiger Anruf der Familie durch und wir mussten spontan entscheiden, wie wir eine Reise quer durch's Land einschieben. Uns blieben noch drei volle Tage bis zum Check-Out und der weitere Weg war schon gebucht. Wir mussten es also in maximal 48 Stunden hin und zurück schaffen.

Unserem Auto wollten wir den Kilometerkrimi nicht antun, und eine reguläre Zugverbindung vom (fast) nördlichsten Punkt der Reise bis in den Allgäuer Süden hätte zu lange gedauert. Die einzig valide Option war also: Der Nightjet ✈️ .... auf Schienen.

Schnell Sachen packen, Tickets buchen und zum Lübecker Bahnhof spurten. Von dort zum Hamburger Hauptbahnhof gondeln und rein in den Nachtzug: In irgendwas um die 10,5 Stunden jetteten wir quer durch Deutschland. – Abends rein, morgens raus.

Im Nightjet kann man zu vielen europäischen Zielen düsen, wie Amsterdam oder Venedig. Weil der Zug von der Österreichischen Bundesbahn betrieben wird, ist er meist sogar pünktlich. 😱 Während die ÖBB im Jahr 2024 mit 93 % Pünktlichkeit aufwarten konnte, ist das Warten auf die Deutsche Bahn mit 63 % eher ein Roulette-Spiel. (Das bestätigte sich auch auf unserer Bahnodyssee in der nächsten Station... 🫠)
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Nightjet des ÖBB
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Schlafkapsel

In der Hoffnung, ein paar Stunden shuteye 😴 zu bekommen, hatten wir nicht das reguläre Sitz- oder Schlafabteil gebucht, sondern neuartige SchlafkapselnMini Cabins – in denen man sich vorkam wie eine Raupe im rollenden Kokon.
Oder wie es ein Artikel passend beschreibt: „Sardine trifft High-End“ oder „Wie man in einem Schuhkarton schläft“.

Wer in der Kapsel tatsächlich schlafen will, braucht allerdings Nerven aus Stahl – und Ohropax. Zumindest konnte man auf einem kleinen Display über dem Kopf komfortabel ablesen, wann endlich das Toitoi frei war... ⏱️

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Infodisplay in der Kapsel
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Fahrender Sarkophag

Es ruckelte, es zuckelte, es rumpelte umher. Während man mit über 200 km/h über die Schienen bretterte, konnte man nächtlichen Geräuschen aus den Kapseln rechts, links, über oder unter sich lauschen: Von Husten, über Kopfanschlagen, bis hin zu Telefongesprächen mit der Frau (🙄).

Oder um noch einmal ein Zitat aus dem wundervollen Review-Artikel zu klauen:

„Die Wände haben die Schalldämmung eines Flüstervorhangs. Das Schnarchen aus der Nachbarkabine lässt sich hervorragend als natürlicher Wecker nutzen."

Wer eh schon leichte Klaustrophobie hat (👀), lässt am besten die Tür am Fußende ein Stückchen offen, schiebt die kopfseitige Luke zur Nachbarkabine auf (sofern man sich kennt), und stellt sich vor, auf einer weiten (schaukelnden) Wiese zu liegen. 🌈

Menschen, deren natürliche Schlafhaltung eher einer Sternformation ⭐️ (👉 👀) als der von Graf Dracula gleicht, sollten vor dem Fahrtantritt Schlafen in Linealform üben.

Selbst Basti, der eigentlich nicht unter Platzangst leidet, schreckte in der Nacht einige Male hoch. Der nicht zu vermeidende beidseitige Wandkontakt beim Drehversuch im fahrenden Sarkophag löst im Gehirn automatisch ein Alarmsignal aus. 🚨

Ein letztes Mal schreckten wir dann kurz vor Augsburg hoch. Diesmal klopfte es am Eingang des Kokons:
Der freundliche Zugbegleiter lieferte das Frühstück direkt an die Liege (und durfte alle Fahrgäste in Bestform erleben).

Die Semmel waren fluffig, die Marmelade ganz ok und es gab genügend Kaffee Obers, um die schwarze Flüssigkeit trinkbar zu machen. Wir hatten schon schlechtere Frühstücke. 👍

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Frühstück im Kokon
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Le Allgäu
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Um ins Allgäu zu gelangen, mussten wir in Augsburg vom Nightjet in die Regiobahn wechseln und bei der Rückfahrt umgekehrt.

Überrascht entdeckten wir beim Umstieg, dass die Dauerbaustelle unter den Schienen inzwischen eine begehbare Unterführung geworden war. – Da ist man mal ein paar Monate weg...

Mit leichtem Schlafentzug kamen wir nach knapp 36 Stunden wieder in der nordischen Heimat an und versuchten aus unserem letzten Tag in Lübeck noch alles rauszuholen.

Letzer Tag: Volles Programm

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Neben packen, putzen und Autofahrt planen, hatten wir am letzten Tag in Lübeck nochmal volles Programm:

Am Vormittags erwischten wir eine der offiziellen Stadtführungen. Hätte am Anfang wahrscheinlich mehr Sinn gemacht, aber... who cares. 🤷

Die nette Tour-Dame erzählte uns, dass der Begriff „alles Fassade“ auch auf die Lübecker Altstadt angewendet werden kann. Vielen wiederaufgebauten Gebäuden wurde eine alt-wirkende Fassade nur aufgeklebt – quasi. Selbst bei Neubauten versucht man oft optisch den historischen Charakter der Stadt zu bewahren.

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Holstentor

Das bekannteste Wahrzeichen Lübecks ist das Holstentor – das zweite (und schrägere) der noch stehenden ehemaligen Stadttore. Der Südturm ist im Laufe der Zeit abgesunken, sodass sich das gesamte Tor langsam Richtung Westen neigt.

Das Tor hat bis zu 3,5 m dicke Mauern, ist aber komplett aus Backstein. (Also nicht nur Fake-Fassade).
Mit Backstein zeigte man im Mittelalter, wer die dicken Hosen anhatte, denn das Zeug war teuer. 🫰 Damals dauerte es drei Jahre, um einen fertigen Ziegel zu produzieren, weil Backsteine jahrelang getrocknet werden mussten.

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Marktplatz / Rathaus
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Rathaus / Stadtverwaltung
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Rathaus Renaissancelaube
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Teufelstatue vor der Marienkirche

Hinter dem Rathaus hielten wir am Teufel. Die Bronzestatue sitzt seit 1999 neben der Marienkirche und seitdem wurden seine glücksbringende Hörner schon glänzend gerubbelt.

Einer Legende nach schlenderte der Teufel zufällig bei den Bauarbeiten zur Kirche vorbei. Indem die Arbeiter ihm vorgaukelten, ein Wirtshaus zu bauen, überredeten sie ihn zu helfen. „Endlich ein Etablissement zum Seelen einsammeln“, dachte sich der Teufel und sagte zu. Doch als er merkte, dass das wachsende Gebäude mehr nach Kirche als nach Schänke aussah, nahm er einen Granitblock (auf dem er jetzt sitzt), um den Abriss zu starten. Abermals beschwichtigten ihn die Bauarbeiter und versprachen gegenüber ein Wirtshaus zu errichten. Und so blickt der Teufel heute in Richtung seines neuen Reviers: Den Ratskeller.
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Rückseite Rathaus / Ratskeller
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St. Marien
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Buddenbrookhaus

Die letzte Station der Stadtführung führte uns ans Buddenbrookhaus. Zu unserer Zeit war es wegen Umbau geschlossen – wir waren aber gar nicht böse: Wer sich in der Schule durch Die Buddenbrooks quälen musste, muss sich ja nicht nochmal retraumatisieren... 😵‍💫.

Im Buddenbrookhaus lebte 50 Jahre lang, bis 1891, die Familie Mann. Heute ist es ein Museum über den berühmten Autor und ein anschauliches Beispiel für „Alles Fassade“:

Bei den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg blieben vom Haus nur die spätbarocke Fassade und der Gewölbekeller erhalten. Hinter der historischen Front wurde nach Kriegsende ein Neubau errichtet.

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Erst Schnecken, dann Schippern...

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Nach der letzten Spritze Kultur und Geschichte in Lübeck waren wir so ausgehungert, dass wir unsere Mägen mal wieder überschätzten:

Von der herzhaften und süßen Auswahl im Schneckenhaus ließen wir uns zu vier Hefeschnecken hinreisen. Die Hälfte mussten wir uns aber einpacken lassen, um sie auf unser letztes (nasses) Abenteuer in Lübeck mitzunehmen.

Bei den ganzen Rundgängen hatten wir das Wichtigste noch gar nicht geschafft:

Ne Bootsfahrt!

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Start der Bootsfahrt

Bei Boat Now kamen wir gerade noch rechtzeitig vor dem großen Ansturm an und mieteten ein kleines Elektroboot.

Nach einer Einweisung durfte Skipper-Basti 🏴‍☠️ ablegen und uns im Vollgas-Schneckentempo (Speedlimit und so) in den Schiffsverkehr einordnen. Im Uhrzeigersinn schipperten wir um die Altstadtinsel und ließen uns die frische Brise durch's Haar wehen.

Nach einer Stunde war der Fahrspaß (leider) schon vorbei. Während einige Boote neben uns Autoscooter spielten und merkten, dass einem auf dem Wasser schnell der Boots-Popo ausscherte, schipperte uns Skipper-Basti wieder smooth auf unseren Parkplatz. 🅿️

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Skipper beim skippern
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Privater Hafen
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Richtung Boots-Parkplatz
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Bis zum Abend waren die Hefeschnecken wieder verbrannt und genug Platz im Bauch für ein letztes kulinarisches Outing in Lübeck:

Bei spicy Ramen und Sake im Momiji konnten wir durch tränende Chilli-Augen (🌶️ 🥵) die letzten Sonnenstrahlen verblassen sehen.

In der Wohnung warfen wir für's Ambiente die Bootsbeleuchtung an und lauschten ein letztes Mal dem Abschiedsläuten der (gar nicht so nervigen) Glocken. 🔔

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Bootsbleuchtung
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Verregneter Abschied mit Waffeln

Vor dem Check-In in die nächste Station hatten wir wieder etwas Zeit totzuschlagen. Unsere letzten Stunden in Lübeck nutzten wir für ein wirklich allerletztes kulinarisches Outing. (Gut, dass es in Ferienwohnungen nie Waagen gibt 😅...)

Der Weg zum kleinen Waffelhaus führte uns an der Statue des Lübecker Dichters Emanuel Geibel vorbei – der genauso traurig dreinschaut, wie das Wetter an jenem Tag war.

Wir blieben zum Glück trocken – hätten aber notfalls den Regenschirmautomat im Parkhaus nutzen können ⬇️ ...

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Emanuel Geibel
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Historische Rathaustreppe

In der Hoffnung, einen Hamburger Marketing-Schlager zu kopieren, ließ der Besitzer den Schirmomat aufstellen. Doch dank zu viel Sonne im Norden wurden die Schirme zu Ladenhütern statt Verkaufsschlagern. Man überlegte schon, ihn zum Sonnenschirmautomat umzutaufen. Schirme werden ja nicht schlecht...

Volgewaffelt und mit trockenen Füßen schwangen wir uns schließlich in unseren Hausstand auf vier Rädern und machten uns auf den Weg in das kleinste Dorf der Reise. Inmitten von fünf Nachbarn, Millionen Kröten und endlosen Gräserwiesen kündigte sich in Husby der Sommer an: „Hatschi!“ 🤧

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Regen/Sonnenschirmautomat
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Im kleinen Waffelhaus
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Fahrt nach Husby

Veröffentlicht 29.03.2025

Letztes Update 24.04.2025