2 Stressabbau mit Mini-Ziegen im Bauernhaus am Bodensee
Verführt durch günstige Miete und einen Streichelzoo kehrten wir im November auf einem Bauernhof ein. Am Bodensee trotzten wir grauem Herbstwetter und probierten hochprozentiges Obst.
Unterwegs mit Eve und Basti
Ein Wohnexperiment quer durch Deutschland.
Zu Beginn der Reise waren wir noch optimistisch, Geld sparen zu können (haha). Mit einer Miete von knapp unter 700 € für den ganzen Monat – und nem Streichelzoo 🐐 – hatte uns die Wohnung auf dem Bauernhof überzeugt. Und so ging's zur zweiten Station nach Oberreitnau, einem 2500 Einwohner Örtchen, im bayrischen Teil des Bodensees.
Auf dem Ferienhof Schmid angekommen, hievten wir gerade die ersten Taschen von der Rückbank als ein Auto vorfuhr. Aus der Beifahrertür stieg eine ältere Dame aus und begrüßte uns gleich fröhlich mit: „Ah, seid’s ihr die neuen Gäste? Ich bin die Oma!“ 👵🏻
Wie sich herausstellte, wohnte die Oma gegenüber unserer Wohnung im 2. Stock und wanderte trotz ihrer über 90 (wenn wir uns recht erinnern) jeden Tag die Treppen hoch und runter. Von unserer Reiseidee war sie gleich begeistert und erzählte uns von ihren früheren Bustouren durchs Land. Danach bat sie uns beim Treppenaufstieg nicht auf sie zu warten – „I brauch' a Weile“.
Auf dem in mehrfacher Generation geführten Hof wohnten die Familie mit Kindern, die Oma und diverse Touris. Zusätzlich zu unserer Unterkunft und einem Fremdenzimmer direkt im Haus gab es noch separate Ferienhäuschen auf dem riesigen Gelände.
Da wir uns nur wenige Schritte von ausufernden Wiesen und Feldern entfernt befanden, nutzten wir die letzten sonnigen Herbsttage für Spaziergänge auf den Hügel, mit Aussicht bis auf den Bodensee – und mit einer gefährlichen Bank ⬇️.
Massensterben durch Hinterteil
Ein Bänkchen auf dem Hügel mit bester Panoramasicht lud zum Sitzenbleiben ein, doch alle anderen Spazierenden wählten die ungemütliche Bank-Option daneben. 🤔
Während Basti das Unglück schon kommen sah, pflanzten sich gewisse andere Personen nichts ahnend auf die Bank – sprangen nach ein paar Sekunden wieder auf, riefen „Waaaa!“ und drehten sich wie eine Salatschleuder im Kreis, in der Hoffnung eine Horde Krabbler auf den Klamotten mit reiner Zentrifugalkraft loszuwerden.
Die gesamte Holzbank war vom Volk der Mystery-Käfer besiedelt, das sich nun von einem mittelgroßen Populationseinbruch erholen musste. 📉
Bevor Oberreitnau, das offiziell zum Typ Pfarrdorf zählt, von Lindau verschluckt wurde, war es lange eine unabhängige Gemeinde und wurde schon im Jahr 805 schriftlich erwähnt.
Bis auf ein paar Spaziergänge durch die Nachbarschaft und einen Abstecher in eine zünftige Wirtschaft haben wir von dem kleinen Ort aber nicht sooo viel begutachtet.
Nach den ersten Sonnentagen wurde es schnell matschig, windig und generell bäh. Unsere Wanderungen beschränkten sich meist auf den Hügel oder den Gang zum Dorfladen um die Ecke.
Bargeld – was ist das?
Wenn wir keine Lust hatten, 15 Min zum nächsten Supermarkt zu gondeln, konnten wir im örtlichen Dorfladen auf ein paar Quadratmetern ein kleines Sortiment von irgendwie allem finden – vom Spüli bis zur Weißwurst. Man konnte sogar mit Karte zahlen 😱.
Den zweiten Karten-Test führten wir beim Bäcker nebenan durch. Weil vor uns nie jemand auf die Idee gekommen war ne Brezel mit dem Handy zu bezahlen, wussten die Verkäuferinnen selbst nicht, was das Kartenlesegerät davon von halten würde. Antwort: Computer sagt Nein.
Nach den eher beschaulichen Einkaufserlebnissen im örtlichen Supermarkt in Station #1 hatten wir hier ein paar Fahrtminuten entfernt einen Edeka mit feinster Auswahl. Während wir unseren Blick über das üppige Sortiment schweifen liesen, ertönte ein engelsgleichen Chor 💫 in unserem inneren Ohr und uns war sofort klar:
Wenn wir uns wieder niederlassen, dann nur mit direktem Zugang zu foodie-tastischer Lebensmittelauswahl.
Hafen-Sprint in Friedrichshafen
Richtiges Ausflugswetter stellte sich nach den ersten Tagen nicht mehr ein. Mit Bastis Verwandtschaft trauten wir uns eines verregneten Sonntags dennoch auf einen flinken Trip rüber nach BaWü. Im Hafen von Friedrichshafen konnten wir den Bodensee endlich aus der Nähe sehen.
Von der Uferpromenade aus blickte man über das nördliche Ufer des Bodensees und konnte sich auf die Blumeninsel Mainau oder nach Konstanz schippern lassen.
Auf dem Weg ans Ufer spazierten wir auch am Zeppelin Museum vorbei. Graf Zeppelin erfand in Friedrichshafen die ersten Luftschiffe. Einen Nachbau kann man im Museum sogar betreten.
Sowohl Boot als auch Museum mussten wir allerding auf „irgendwann mal“ verschieben. Der Countdown zur Reservierung im Restaurant lief schon runter. ⏰
Beim Schländerer an der Promenade entlang erklungen wir den Moleturm. Der stählerne Aussichtsturm wurde 2000 bei der Neugestaltung der Hafenmole aufgestellt und bietet einen spektakulären Blick auf die Allgäuer und Schweizer Berglandschaft – wenn man Glück hat.
Wir sahen leider nicht mehr als Wolkensuppe und grüne See. Als der Wind uns von rechts und links ne Frischluft-Watschen gab, machten wir uns schnell wieder auf den Weg nach unten – der Magen knurrte eh schon.
Schnell raus aus dem Regen und rein ins gemütliche Restaurant. Nach einer Fahrt in die Pampa und einem Slalomlauf durch dörfliche Hinterhöfe saßen wir in der Brenner Stube.
Für Blut- und Leberwurst waren wir nicht hart genug drauf – dafür lernten wir von der Bedienung, was ein Schwiizer Schüümli Kaffee ist: Eine Schweizer Röst-Erfindung, irgendwas zwischen Espresso und Filterkaffee und für den Vollautomaten optimiert. Naaaja – wir sind nicht überzeugt 🤨.
Stressabbau mit Ziegenstreicheln
Wenn die Augen vom Arbeiten eckig wurden, besuchten wir in der Mittagspause manchmal den Streichelzoo auf dem heimischen Bauernhof. Sobald sich die Sonne zeigte, trampelte die Ziegen-Horde aus ihrem Häuschen und wartete darauf, bespaßt zu werden.
Besonders beliebt war frischer Rasen jeglicher Länge, man musste nur aufpassen, dass die Finger nicht mit verzehrt werden. Ansonsten eine sehr fotogene Truppe und immer bereit, Model zu stehen. 📸
Vom Ziegenhaus lief ein mit Klettersteinen gesäumter Weg durch eine Unterführung auf eine große Wiese. Hier machten Esel und Pony die Runde. Hasen gab's auch noch irgendwo, aber die hielten sich eher bedeckt.
Den Streichelzoo mussten wir uns maximal mit anderen Kindern teilen. Die richtigen Erwachsenen kamen immer nur als Begleitung mit und gaben uns höchstens nen amüsierten Seitenblick. 😅
Der Gedanke, eine Mini-Ziege zu adoptieren, kam uns auch kurz in den Sinn. Genug Kletter-Optionen und Gemüsereste und schon sind sie zufrieden... 🤔
Raketenhafter Start in den Winter
Der vom Weinschmecker mitgebrachte Wein hielt uns den Monat über warm. Für's Entertainment an kalten Tagen hatten wir jetzt auch einen Gaming-PC. Wir konnten ihn nur nicht nutzen 🥲 ... Der TV klebte an der Wand – über der Küchenspüle! Keine Chance für Verkabelung und wieder ein nicht bedachter Tech-Reinfall.
So bot sich die perfekte Gelegenheit, unser technisches Gepäck aufzupimpen und wieder mal Kartonagen-Abfall zu produzieren. Ein Reisemonitor gesellte sich noch zur verkabelten Familie und der Küchentisch wurde zur Arbeits- und Gamingstation umgenutzt. Die Teller passten schon irgendwo dazwischen. 🍝
Pünktlich zum ersten Schneefall kam dann nicht nur ne Erkältung, sondern auch das erste Unwetter. Einige Tage lang dachten wir nachts, es würde gleich die Fenster aus den Rahmen schütteln. An erholsamen Schlaf war nicht zu denken, weil man Angst hatte, aus dem Dachstuhl gesaugt zu werden.
Apropos Dachstuhl: Auf 48qm hatten wir hier nicht nur zwei Toiletten, sondern auch zwei Stockwerke. Die erste Maisonette-Variante der Reise.
Inselrundlauf in Lindau
Nachdem die Erkältung auskuriert war, quetschten wir in den letzten Tagen noch einen Ausflug nach Lindau in den Kalender. Mit der Bushaltestelle direkt vor der Tür waren wir in 20 Min auf der Insel. Dass wir langsam auf Dezember zusteuerten, erkannte man gleich an der Weihnachtsdeko im Kreisverkehr. 🦌
Lindau ist die südwestlichste Stadt Bayerns und gilt mit 26k Einwohnern als Mittelstadt. Der historische Stadtkern liegt auf einer Insel – im Stadtteil „Insel“ – im östlichen Bodensee und ist durch eine Straßenbrücke mit den Stadtteilen am Festland verbunden. Auf dem 0,68 km² großen Areal wohnen nur etwa 3.000 Menschen – und im Sommer wahrscheinlich nochmal so viele Touris.
Unnützes Partywissen: Mittelstadt = Bevölkerung zwischen 20k und 100k
Ein Fall für Sherlock
Wir schlängelten uns durch mit Altbauten gesäumte Gässchen, um zur Uferpromenade vorzudringen. Als uns bei der handbreiten Passage zwischen zwei Häusern ein Rohr mit nem verdächtig vertrauten Sticker entgegenkam, holten wir uns fast eine Beule. Die Heimat verfolgte uns... 👀
Die Farben würden passen, aber laut ChatGPT (dessen Faktenwissen ja bekanntlich höchst verlässlich ist 🤥) spielten der AEV und der Lindauer Verein nie in derselben Eishockeyliga. Also kein Auswärtsspiel mit bestickerten Fans. Auch die Bilder-Rückwärtssuche ergab keinen Aufschluss. Um was es sich handelt und wie der Aufkleber hier hinkam, bleibt also ein Mysterium. 🥸
Bei unserem Ufer-Rundgang um die Insel kamen wir an weihnachtlichen Buden vorbei, konnten aber weder Lebkuchen noch Glühwein ausfindig machen. Die Hafenweihnacht wurde erst aufgebaut, und wir sollten sie knapp verpassen. Macht nix – die nächste Station versprach noch genug Lebkuchenberge.
Zwischen den Buden konnte man auf dem See die weltbekannte Hafeneinfahrt Lindaus erspähen, die von den Wahrzeichen der Stadt flankiert wird: einem Leuchtturm und dem bayrischen Löwen.
Apropos weltbekannt: Seit 1951 treffen sich auf der Nobelpreisträgertagung in Lindau jährlich die größten Gehirne aus aller Welt, um ihrem Nachwuchs Feuer unter dem akademischen Hintern zu machen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das moralische Vertrauen in die deutsche Wissenschaft nicht so ausgeprägt. Um sich aus der internationalen Isolation zu winden, kamen zwei Ärzte damals auf die Idee, ein Forum für wissenschaftlichen Austausch zu etablieren. Später wurde auch die crème de la crème der Campusse eingeladen, die hier 1954 unter anderem Albert Schweitzer fangirlen durfte.
Nach dem Rundlauf um die Insel mussten wir uns erst mal mit einem Frühstück zur Mittagszeit stärken. Danach noch einen Abstecher in den Kern der Altstadt, um die Kulturgüter zu beäugen.
Leider war's nicht Sommer, sonst wären wir verführt gewesen, eine aufblasbare Pool-Brezel zu kaufen, die uns aus dem Schaufenster ansprang. Nächstes mal ... 😏
Mächtiges Marketing
Obwohl die Altstadt auf der Insel steht, liegt der offizielle Ursprung von Lindau auf dem Festland: Um das Jahr 200 entstand gegenüber der Insel als erste Ansiedlung eine luxuriöse römische Villa mit Blick auf den Bodensee. (Wer kann, der kann...)
Als Lindau noch ne freie Reichsstadt war, fand 1496 im Alten Rathaus auch mal der Reichstag statt. Die Mächtigsten der Mächtigen der Reichsstädte fanden sich hier ein, um wichtige Entscheidungen zu treffen – die crème de la crème des Heiligen Römischen Reiches.
Hm...so langsam lässt sich ein Muster in der Strategie des Stadt-Marketings erkennen. 👑 💰 🎩
Äpfel, Birnen und Likör
Wo gebrannt wird, fallen Äpfel
Wie könnten wir uns vom Bodensee verabschieden, ohne das wichtigste Kulturgut zu nennen: Obst – und alles was man daraus machen kann.
Dass in der Gegend so viele Obstplantagen herumstehen, hat mit dem gemäßigten Seeklima zu tun, in dem besonders Äpfel, Birnen, Kirschen und allerlei anderes Obst gerne wachsen. Der See sorgt als Wärmespeicher für milde Winter, Abkühlung im Sommer und insgesamt für eine verlängerte Vegetationsperiode mit viel Sonnenschein.
Am Bodensee werden ca. 20 verschiedene Apfelsorten angebaut, die 88% der Anbaufläche ausmachen.
Wo viel Obst fällt, fällt auch viel Ausschuss an. Deswegen findet man auch an jeder Ecke ne Brennerei, die ihren Likör, Brand oder Schnapps anpreist. Alles, was zu klein, beschädigt oder überreif ist, kommt nie in unseren Supermärkten an, sondern wird in flüssiges Obst verwandelt. Eventuell haben wir ein oder zwei davon auch probiert... 👀
Am Abreisetag machten wir noch einen Abstecher zum nahegelegenen Obsthof Strodel, um ein paar flüssige Geschenke für unseren Zwischenstopp mitzunehmen.
Bevor es in die nächste Station ging, mussten wir zum Boxenstopp nach Augsburg. Der Wetterbericht sagte Eis und Schnee an, deswegen fuhren wir wie auf Eiern und mit gedrückten Däumchen Richtung Lager – wo unsere Winterreifen ruhten. Kaum hatten wir den ersten Reifen runter, fing es auch schon an dicke Flocken zu schneien – daaas war knapp. 😪
Beim nachfolgenden Toitoi-Pitstopp in unserem alten Bäcker fragten wir uns, in welche Abgründe das Viertel seit unserer Abwesenheit gefallen war. („Sabotageaktionen“?). Aber zum Ergründen blieb keine Zeit – wir mussten weiter Richtung Nürnberg. Das Lebkuchenfest wartete schon auf uns. 🎄
Veröffentlicht 30.11.2024
Letztes Update 24.03.2025