12 Schlamassel in Schleswig: Turmleben mit kleinen Tücken
Null Internet, ein Sanitärdesaster und zwei andere kleine Hürden hielten uns im Wikingerturm auf Trab. Das tägliche Fensterkino Richtung Ostsee sorgte aber für den entspannenden Ausgleich.
Unterwegs mit Eve und Basti
Ein Wohnexperiment quer durch Deutschland.
Während wir in der Gegenwart bereits in Augsburg sitzen und mit Wohnungssuche und Geschäftsaufbau okkupiert sind, sah es im Juli 2024 noch etwas entspannter aus.
Um die lange Fahrt aus Kopenhagen auf erträglichem Niveau zu halten, schoben wir kurz nach der deutschen Grenze eine halbe Station ein und landeten für zwei Wochen in der Wikingerstadt Schleswig.
Schleswig stand nicht gerade auf unserer Prioritätenliste. Allerdings weiß man nie, was man bei der Suche im Wohnungsportal so findet: Eine Unterkunft mit Ausblick stach uns hier ins Auge. Nicht so weit oben wie im Augsburger Maiskolben in einer früheren Station, aber ein würdiger Kandidat für einen kleinen Turm-Vergleich.
An der Küste der Schlei, einem schmalen Meeresarm der Ostsee, steht hier das (quasi) norddeutsche Pendant zur Augsburger Turmvariante:
Der Wikingturm.
Beide Türme entstanden zur selben Zeit, Anfang der 70er Jahre. Beide sind stilistisch inspiriert vom Modernismus. Beide kosteten ungefähr 40 Mio. DM. Und beide waren bei den Bürgern eher umstritten: ein fetter Prestigebau mitten in der Landschaft und so...
Im Wikingturm wohnten wir nur im 7. und nicht im 26. Stock. Dafür hatten wir Ausblick über die Bucht und einen kleinen Hafen, statt über die betonierte Stadtlandschaft. Wellenrauschen statt Autohupen. Hatte schon was...
Das Areal um den Wikingturm, das „Wikingeck“, war lange durch Altlasten ehemaliger Fabriken kontaminiert und galt als eine der größten Umwelt-Altlasten Schleswig-Holsteins. Ab 2023 begann die Rundumsanierung. Und wir waren mittendrin dabei. Das erklärte nicht nur den großräumig abgesperrten Bereich vor der Haustür, sondern auch den Sanierungs-Sonderpreis der Ferienwohnung. Der entspannende Fernblick aufs blaue Nass machte den hin und wieder durchs Fenster wabernden Baustellenduft von der Rückseite des Hauses aber wieder wett.
Unser Feriendomizil war ein großer Raum mit Küchen- und Schlafabteil und deutlich geräumiger als die Mini-Wohnungen im Augsburger Turm. In Sachen Windigkeit auf dem Balkon war aber Gleichstand. 💨
Doch während die Aussicht auf die Meereslandschaft für Entspannung sorgte, verursachte das Internet innerhalb weniger Tage die ersten Stresspickel: Bastis erstes größeres Softwareupdate legte direkt das Netz lahm. Nach einem Telefonat mit der Wohnungsverwaltung stellte sich heraus: Es gibt einen Volumenvertrag! 😱 Sowas hatten wir seit mindestens ... 15 Jahren nicht mehr gesehen!
Eine Volumenbegrenzung war uns bisher auf der Reise noch nie untergekommen und im Kleingedruckten der Wohnungsanzeige stand davon auch nichts. Weil sich das Problem technisch nicht so schnell lösen ließ, blieb uns aber nichts anderes übrig: Für den Rest unseres Aufenthalts lief der Hotspot unserer Handys heiß...
Für längere Reisen durch die Internetwüste Deutschland empfiehlt sich auf jeden Fall ein Handyvertrag, bei dem man notfalls eine unbegrenzte Monatsflatrate aufbuchen kann. Nicht ganz günstig – aber wenn 100% der Arbeit über den PC laufen, als Absicherung unerlässlich. Besonders wenn man auch mal Wohnungen bucht, die eher auf touristische Kurzurlauber eingestellt sind und nicht auf Digitalnomaden bei denen regelmäßig die Leitung glüht. 🔥
Unsere Mittagspausen verbrachten wir hauptsächlich damit, Seegelboote auf dem Wasser zu beobachten – oder unzählige Kreuzspinnen, die sich über die gesamte Länge der Fensterfront verteilten. Außen versteht sich 👀 . Es waren viele...sehr viele...quasi eine Farm. Jede Nacht aufs Neue fielen ihre Netze dem stürmischen Höhenwind zum Opfer und mussten mühsam neu gesponnen werden. Man hätte sich auch einen einfacheren Arbeitsplatz aussuchen können. Aber naja, jedem Spood das seine...
Noch mehr stürmisches Fenster-Entertainment gab es beim Blick in die Wolken: Aus dem nahegelegenen Jagel-Stützpunkt startete die Luftwaffe das SNAP24 Trainings-Manöver. Wir konnten quasi im Minutentakt Kampfjets und größeres Gerät über den Horizont knattern hören oder dabei zusehen, wie sie sich in Schleifen über die Schlei jagten.
Röstkurs Ahoi!
Schleswig war zwar eher eine Spontanstation, lag für unsere Pläne aber praktisch in der Nähe von Hamburg. Ein paar Monate zuvor hatten wir einen kleinen Kaffee-Röstkurs gebucht, zu dem wir am ersten Wochenende aufbrachen.
Die Idee, ins Kaffeerösten einzusteigen, nistete sich ja schon länger in unseren Köpfen ein. In Lübeck hatten wir aus Neugier schon nach Röstmaschinen recherchiert und stießen so zufällig auf Ahoi Marie. In der Hamburger Ein-Mann-Rösterei standen genau zwei der Maschinen, die wir uns genauer ansehen wollten: Eine kleine Typhoon und eine noch kleinere Bullet.
Beim Röstkurs konnte jeder von uns eine Portion Bohnen auf der kleineren 1-kg-Maschine rösten. Währenddessen durften wir Hauke Löcher in den Bauch fragen und er berichtete uns von seinen bisherigen Erfahrungen im Kaffee-Business.
Beim Cupping verkosteten wir zuerst verschiedene Kaffees: Die gemahlenen Bohnen werden in einem bestimmten Verhältnis mit Wasser aufgebrüht. Anschließend schlürft man den Kaffee vom Löffel und versucht Eigenschaften wie Säure, Nachgeschmack oder Aromen zu beurteilen. – Nicht, dass wir darin besonders gut gewesen wären … aber Übung macht bekanntlich den Röstmeister.
Für unsere eigenen Teströstungen an der kleinen Aillio Bullet entschieden wir uns für Bohnen aus Mexiko und Rwanda. Am Ende durfte jeder ein halbes Kilo des selbstgerösteten braunen Guts, mit nach Hause nehmen – getoppt mit maritim designtem Merchandise.
Wir hatten wohl einen der letzten Röstkurse erwischt. Nach langer Selbstständigkeit überlegte der Ahoi Marie-Gründer gerade, ob er die Werkstatt an den Nagel hängen und stattdessen das Angestelltendasein testen sollte. Was daraus genau geworden ist, wissen wir nicht. Der Kaffee scheint zwar nicht mehr zu sein, was er mal war, aber die maritime Keramik findet man immer noch auf seiner Seite.
Dank unseres ersten Röstkurses entschieden wir am Ende, dass wir von keiner der beiden Röstmaschinen richtig überzeugt waren – zumindest nicht für unsere Zwecke. Erfahrungsberichte sind ja bekanntlich hilfreicher als jedes Buch, oder wie ein Sprichwort sagt: Ein Gramm Praxis wiegt mehr als eine Tonne Theorie. 😏
Gartenpfad mit Treppenflanierung
Auf den ersten Blick machte Schleswig nicht den Eindruck, als steppe hier der Bär. In Sachen Kunst und Kultur gab es aber überraschend viel zu sehen. Für unsere ersten Ausflüge mussten wir nicht einmal ins Auto steigen. Je kürzer der Weg, desto wahrscheinlicher, dass wir uns unter der Woche von der Couch losreißen können... 😬
Zwei Straßen weiter waren wir schon auf unserem neuen Spazierweg: Der Gottorfer Gartenpfad führt rund um das Schloss Gottorf – mit einem schicken Schlossgarten als Hauptattraktion: Ein Labyrinth aus geometrisch angelegten Beeten, gerahmt von einem die Hydra erschlagenden Herkules und verziert mit modernen Tierstatuen von Elefant bis Äffchen in Pose.
Das „kleine Versailles des Nordens“ ist einer der ältesten Barockgärten in Norddeutschland. Ursprünglich war er exklusiv für die herzogliche Familie und deren Gäste zugänglich. Inzwischen darf auch Bourgeoisie wie wir im grünen Freizeitparadies frohlocken.
Rechts am Elefanten vorbei, am Rande des Gartenlabyrinths, steht ein etwas aus der Epoche gefallener, fast brutalistisch wirkender kleiner Bau. Auf den ersten Blick denkt man: „Bunker“? Statt Schutz vor Bomben beherbergt der Betonblock aber einen Nachbau des im 17. Jahrhundert weltberühmten Gottdorfer Globus – des ersten Planetariums der Welt.
Am Tag unseres Gartenbesuchs war das Museum leider geschlossen und wir konnten die astronomische Kugel nicht live bestaunen. Aber hier gibt es einen 3D-Blick auf das drei Meter durchmessende technische Meisterwerk zum Sternegucken. ✨
Hinter dem Globus-Haus folgte dann der spektakulärste Teil des Gartens:
Ein terrassierter Traum aus Wasserkaskaden, dessen Symmetrie nicht nur Designern Tränen in die Augen trieb, sondern bestimmt auch Schweißperlen auf die Stirn barocker Adliger, beim Treppenflanieren hinauf aufs viertstöckige Gartenplateau.
Schloss Gottorf: Igel im Glas und voluminöse Valküren
Ein paar Tage nach der ersten Gartenbegehung warfen wir noch einen Blick in das zugehörige Schloss: Durch Herzog Friedrich III. wurde Schloss Gottorf im 17. Jahrhundert zu einem der führenden Fürstenhöfe und einem kulturellen Zentrum Nordeuropas. Heute ist es ein Museum für Kunst und Kulturgeschichte, und gehört zu einem größeren Museumskomplex.
Um schon mal zu spoilern: Das Schloss rangiert ehrlicherweise eher am unteren Ende unserer Schlösser-Rangliste. Sagen wir drei von fünf Sternen. Wir hatten an diesem Punkt aber schon so viele historische Gebäude besucht, dass wir nur noch schwer zu beeindrucken waren...
Neben der Dauerausstellung mit Werken schleswig-holsteinischer Kunst vom Mittelalter bis zur klassischen Moderne erwischten wir bei unserem Besuch zwei Sonderausstellungen:
Die blauen Installationen der Konzeptkünstlerin Anja Schindler wirkten in den braun-barocken Räumen wie aus einer anderen Dimension. Und nein, der Igel ist nicht aus Pappmaché oder so … 👀
Die farbig eingelegten Pflanzen und Tiere waren unter anderem eine Hommage an Fürst Friedrich III. und seine Sammelleidenschaft für das Außergewöhnliche – von regulärer Kunst bis zu präparierten Tieren. Er ließ sogar Expeditionen organisieren, um sich Seltsames aus aller Welt nach Gottdorf schippern zu lassen.
Zwischen Räumen aus verschnörkelter Vollvertäfelung, Elfenbeinkabinetten aus Augsburg oder Schlitten mit Adlerkopf, stolperten wir in den letzten Räumen der Dauerausstellung über erste Werke der Künstlerin Joana Vasconcelos: Ein überdimensionaler Stiletto aus Töpfen und Deckeln oder ein riesiger Stoff-Engel in der Schlosskapelle. Beide gehörten zur Sonderausstellung „Schloss der Walküren“. Um die noch riesigeren Herzstücke der Ausstellung zu sehen, mussten wir aber in die ehemalige Reithalle neben dem Schloss wechseln.
Die gigantischen bunten Werke der „Le Châteua des Valkyries“ Ausstellung waren für die Künstlerin unter anderem eine Hommage an ihre Heimat Portugal und das traditionelle Kunsthandwerk.
Die Größe der genähten, gestrickten oder gehäkelten Valküren lässt sich auf dem Foto nicht richtig einfangen. Eines der Ausstellungsstücke war 14 Meter lang, 700 kg schwer und stellte das Museum vor einige logistische Herausforderungen. Kein Wunder also, dass die Vorplanung zwei Jahre dauerte. Am Ende musste man sogar ein Fenster ausbauen, um alles in die Räume zu manövrieren. – Da hat der Denkmalschutz sicher mit Adleraugen hingeschaut ...
Unser Museumstag war hier aber noch nicht vorbei. Auf der Gegenseite des Schlosses statteten wir der Nydamhalle noch einen Besuch ab – der früheren Exerzierhalle des Schlosses, in der das Nydamboot ausgestellt ist.
1863 entdeckte ein Archäologe das 23 Meter lange und außergewöhlich gut erhaltene Schiff aus Eichenholz im Nydam-Moor bei Sonderborg in Dänemark. Damals eine echte Sensation: Zum ersten Mal konnte man ein über 1500 Jahre altes hochseetaugliches Ruderboot der Germanen untersuchen, das aus der germanischen Eiszeit um das Jahr 320 n. Chr. stammte.
Anfang der 1940er musste das damals in Kiel ausgestellte Boot umgesiedelt werden. Die Stadt war ein häufiges Ziel für Luftangriffe und man wollte den archäologischen Schatz vor der Zerstörung bewahren. Nachdem es den II. Weltkrieg in einem Lager überstanden hatte, gelangte das Nydamboot 1947 schließlich an seinen heutigen Ausstellungsplatz.
Exorzissmus im Badezimmer – Ein Erlebnis-Essay
Mit Wohnungen hatten wir bisher auf der Reise echt Glück. Zum Ausgleich konfrontierte uns Schleswig gleich mit mehreren Wohn-Notfällen: Nicht nur das Internet lief in den ersten Tagen über, auch das Badezimmer stellte kurz nach Ankunft den Dienst ein. Nur ein Ritter in blauem Overall konnte uns kurz vor knapp vor einem stillen Örtchen-Desaster retten.
Endgegner Duschabfluss
Beim ersten Duschen merkte man schon: „Ah schön, das Wasser fließt mal wieder schlecht ab“. Aber hey, kein Problem. Wir mussten inzwischen so oft fremde Duschsiebe reinigen; wir waren schon abgehärtet. Also Nase zu und durch. – Wenn...das Ding...nur aufgehen...würde!
Badezimmer sind – laut unserer persönlichen Statistik – die häufigsten Schauplätze deutscher Anti-Ingenieurskunst. Abflüsse scheinen grundsätzlich von Personen konstruiert zu werden, die sie noch nie selbst reinigen mussten. Diesmal war das Sieb sogar angeschraubt!
Als der Schraubendreher schließlich nachgab, das Duschsieb aber nicht, ging jegliche Hoffnung auf Duschen ohne Überschwemmung den Bach runter. Einen Tag später hatte sich der Abwasserfluch auch noch auf Waschbecken und Toilette ausgeweitet und es wurde klar: Hier hatte mindestens ein Vormieter vorgearbeitet. Selbst exzessives Pömpeln trieb den Verstopfungsdämon nicht mehr aus der Leitung. Wir brauchten Hilfe – aber schnell – bevor alle Welt im Wochenende verschwand und wir drei Tage ohne Bad dastanden.
Entfesselung der Finsternis
Wir riefen also eilig die Wohnungsverwaltung an, denn zum eigentlichen Vermieter hatten wir keinen Kontakt. Eine nette Dame verwies uns sogleich auf den turmeigenen Hausmeister. Der residierte praktischerweise nur einige Stockwerke tiefer, hatte aber so unglaublich flexible Bürozeiten wie: Wochentags, 12-13 Uhr.
– Schnell auf die Uhr geschaut: Freitag, 12:50 Uhr – Shit!
Also schnell schnell schnell das Treppenhaus runtergestürmt, Sturm geklingelt und dem Hausmeister das Unglück berichtet. Der hörte geduldig zu, blickte dann unbeeindruckt von seinem Schreibtisch auf und entgegnete schließlich in perfektem Verwaltungsdeutsch: „Also, das ist eigentlich nicht mein Bereich...“ – 😑
Dass Rohrreinigung laut Passierschein A38 Sache des Vermieters war, interessierte uns als Feriengäste eher wenig – es war immerhin ein NOTFALL. "Aaaahh!"
Die Verzweiflung war uns wohl ins Gesicht geschrieben. Am Ende ließ der gute Hausmeister doch Mitleid vor Verordnung gelten, und kurze Zeit später klopfte er mit einer Art überdimensionierter Luftpumpe in der Hand an unserer Wohnungstür.
Der Hausmeister ging also fleißig im Bad ans Werk und pumpte, und pumpte und pumpte. Unerschrocken versuchte er, das seit den 70er Jahren nicht mehr modernisierte Hauptrohr durch die Porzellanschüssel freizublasen. Doch statt das Unheil in die Freiheit der Kanalisation zu katapultieren, machte er es noch schlimmer. Ein Monster aus Papierresten und anderem Zeug drückte sich langsam durch das bombenfeste Duschsieb an die Oberfläche. "Stop!", riefen wir ihm verzweifelt zu. Weiterpumpen war auch keine Lösung! Doch es war zu spät: Er hatte eine Sintflut biblischen Ausmaßes herbeigerufen und das halbe Badezimmer glich nun einem Portal in dunkle Unterwelten.
Während Basti erstmal zum Durchatmen auf den Balkon flüchtete, packte der Hausmeister verdrossen sein Gerät ein. Er hatte aufgegeben. Da war nichts zu machen...
Doch ganz mit leeren Händen ließ er uns nicht im braunen Regen stehen, bevor er in den Feierabend ging: Er kenne da einen Geisterjäger Sanitär-Notdienst, meinte er und drückte uns einen Zettel mit einem Namen in die Hand. „Der kennt das Haus gut. Vielleicht haben Sie Glück und er ist noch da.“ – Freitagnachmittag, 15 Uhr... 👀
Ein Fall für den Geisterjäger
Einen Anruf später atmeten wir (auf dem Balkon) erleichtert durch. Die Abflussgötter waren uns an diesem Tag wohlgesonnen: Als letzte Station auf seinem Weg ins Wochenende konnte uns der Sanitärtechniker noch in seinen Kalender quetschen. Und gegen 17:00 Uhr – wir hatten inzwischen seit Stunden auf jegliche Flüssigkeitszufuhr verzichtet – klingelte es endlich an der Tür.
Unser Ritter in blauem Overall betrat die Ferienwohnung. Aber nicht mit einer erbärmlichen Luftpumpe, sondern bewaffnet mit richtig schwerem Gerät für professionellen Badezimmer-Exorzismus – komplett mit Kompressor und so.
Von der dämonischen Sinnflut im Badezimmer ließ er sich nicht im Geringsten beeindrucken. In seinem Kampf durch die Keramikwelten sei ihm schon weitaus Schlimmeres begegnet. Das Duschsieb stemmte er unbeirrt mit einem Hebel aus den Fliesen. (Wer braucht schon Schraubendreher....). Den Porzellanthron montierte er im Handumdrehen von der Wand. Und während sein Austreibungsgerät fröhlich vor sich hin brummte und gluckerte, erzählte er uns erst mal frohgemut seine Lebensgeschichte:
***
Als kleiner Junge wohnte er an der Künste, direkt gegenüber des Turms. „In dem Haus da“, zeigte er durchs Fenster auf die andere Seite der Schlei. Aus seinem Kinderzimmer konnte er direkt auf den Turm blicken und träumte schon immer davon, einmal vom obersten Stock aus über die Bucht in die Ferne zu blicken.
Viele Jahre später wurde sein Traum tatsächlich wahr: Während seiner Ausbildung durfte er mit dem Hausmeister hoch, höher als der Fahrstuhl fährt, hinauf bis aufs Dach. Ein Ort, der Normalsterblichen wie uns verwehrt blieb. Ein Ausblick wie kein anderer.
– Kein Wunder also, dachten wir, dass der Mann so gut gelaunt war!
***
Das Brummen hörte auf. Der Techniker wickelte sein Gerät ein: Eine nette Unterhaltung, und keine halbe Stunde später war die Austreibung erfolgreich abgeschlossen. Professioneller Badezimmer-Exorzismus auf höchstem Niveau.
Zuletzt schraubte er den Porzellanthron wieder an die Wand, drehte sich um und hielt voller Stolz ein ehemals weißes Tuch in die Höhe. – „Aha!“
In voller Sanitär-Nerd-Manier erklärte er, dass diese Art der Okkupation durch finstere Mächte sich über Wochen akkumuliert haben musste – wir hätten das unmöglich in wenigen Tagen hinbekommen. Alles liefe hier in einem Hauptrohr zusammen. Das sei schon so alt und rau, dass Ablagerungen leichtes Spiel hätten. Ein Rezept für Verstopfung. Vor allem, wenn jemand die schlimmste aller Toitoi-Sünden begehe: Feuchttuch den Thron hinunterspülen! (Wedelt mit ehemals weißem Tuch)
„Puh“, dachten wir. Hakle mit Kamillenduft hatten wir zuletzt bei Oma im Bad gesehen und damit definitiv keine Schuld an der Heimsuchung. Erleichtert bedankten wir uns beim Ritter in Blau und verabschiedeten ihn schließlich ins wohlverdiente Wochenende.
Eine gründliche Grundreinigung des Badezimmers später hieß es dann endlich „Wasser marsch!“. Die Rechnung leiteten wir postwendend an den Vermieter weiter: Und ein Anti-Feuchttuch-Hinweis sei vielleicht keine schlechte Idee...
Den Rest des Urlaubs verbrachten wir mit gekreuzten Fingern. Hoffentlich hatten die Vormieter keine weiteren Überraschungen in den vier Wänden hinterlassen – eine Austreibung war schon Abenteuer genug. 😪
Ein wenig Spazieren und viel Glück im Unglück
Während wir fotografisch einen kleinen Rundgang entlang der Küste und durch die Schleswiger Altstadt machen, widmen wir uns hier kurz noch einem Phänomen, das in dieser Station ungewöhnlich prominent war: Dem „Glück im Unglück“ oder auch „Fast scheiße gelaufen“.
Da war zuerst das abgesägte Internet. Dafür bekamen wir am Ende eine kleine Erstattung. Dann eben die braune Sintflut. Die konnte gerade noch gestoppt werden, bevor wir beim Nachbarn an die Tür klopfen mussten, um „bitte, bitte ganz dringend mal“ sein Bad zu benutzen.
Aber es ging noch weiter...
Eines Tages kamen wir vom Einkaufen zurück. Wir parkten kurz vor dem Turm, um die Einkaufskörbe aus dem Auto zu hieven. Dann drehte Basti um, um in die hundert Meter entfernte Parkgarage zu fahren. Doch halt! Wo ist die Parkkarte?
„War die nicht in meiner Hosentasche?“, meinte Eve mit leeren Hosentaschen...
Und so begann die verzweifelte Suche. Doch in der Wohnung gelassen? Im Handschuhfach? In der Handtasche? Muss wegen uns jetzt das Schloss gewechselt werden?! Wieviel kostet sowas eigentlich !!1! 😱
Am Ende verfolgten wir unsere Schritte zurück bis auf ... das Rewe-Parkdeck. Nach vergeblichen Suchrunden über den grauen Asphaltteppich schlich sich die Panik wieder ein. Doch dann erspähte Sherlock Adlerauge Basti 🕵️♂️ das unscheinbare, weiße, vom Wind verwehte Plastikteil endlich in einer abgelegenen Ecke. – Püh! Gerade noch vor Unkosten gerettet! 💸
Merke: Handy und Karte immer in unterschiedliche Hosentaschen stecken! 🤦♀️ Und Eve bekommt ab sofort keine Schlüssel mehr!
Eines anderen Tages hing in der Parkgarage plötzlich ein großer, weißer Zettel mit viel Text an unserer Autoscheibe. – Oh oh... 👀: „Bitte legen Sie einen gültigen Parkausweis uneingeschränkt sichtbar in Ihrem Fahrzeug aus. Sollten Sie keinen Parkausweis haben, bitten wir Sie Ihr Fahrzeug umgehend zu entfernen.“
„Supi...“, dachten wir, „jeden Tag eine neue Überraschung.“. Der Vermieter hatte nie etwas von einem Parkausweis gesagt. Plätze um den Turm waren dank Dauerbaustelle auch nicht existent. Wohin also mit dem motorisierten Schlitten?!
Es folgten einige Nachrichten mit der Verwaltung der Unterkunft und ein zweiter Besuch beim Hausmeister, wo sich herausstellte: Der Eigentümer hatte wohl schon länger kein Hausmeisterupdate mehr gelesen … Immerhin kannte uns der Meister schon vom Badezimmer „Vorfall“ 👀... und am Ende durften wir ausnahmsweise! ausweisfrei weiterparken. Püh!
So viel Stress... Brauch erstmal ne Schoki... 🍫
Am Ende konnten alle Wohndramen ohne schlimmere Konsequenzen abgewendet werden. Trotzdem erhält Schleswig den Preis für „Unterkunft, die uns am meisten Nerven kostete“. 🏆
Hey, hey Wicki. Hey Wicki hey.
Das passende Trinkhorn für unseren Met hätten wir aus der reichen Auswahl im Supermarkt erwerben können. Leider gab’s immer noch keine Lücke im Gepäck...
In der Wickingerstadt Schleswig steht – wie der Name schon sagt – alles im Zeichen der Wikinger. Nicht nur unser Turm wurde nach ihnen benannt, auch der lokale Rewe strahlte im Stil der nordischen Seefahrer. Beides zurückzuführen auf eine Touri-Attraktion in der Nähe: Das Dorf Haitabu.
Für unsere letzte Etappe der Station am Ostseeableger folgten wir der nachdrücklichen Empfehlung des Sanitärtechnikers und statteten Haitabu noch einen Besuch ab. Einem Museum plus rekonstruiertem Wikingerdorf, das zu den UNESCO-Weltkulturerben gehört.
Haitabu entstand im 8. Jahrhundert und war eines der wichtigsten Wikinger-Handelszentren Nordeuropas. Der Name bedeutet im Altnordischen „Siedlung auf der Heide“. Das Dorf hatte eine optimale strategische Lage am Ende der Schlei, direkt an der kürzesten Landbrücke zwischen Nord- und Ostsee. Händler transportierten ihre Waren lieber die 20km über Land, statt sie über lange, gefährliche Umwege um die dänische Küste zu schippern.
Durch die Kaufleute wurde das Dorf nicht nur reich, sondern hatte auch große politische Bedeutung: Der dänische König gründete hier die erste Münzprägestätte Skandinaviens und viele Oberschichtler ließen sich prunkvolle Gräber schaufeln.
Seit dem 19. Jahrhundert laufen im ehemaligen Dorf Ausgrabungen und archäologische Schätze wie Münzen, Schmuck oder Werkzeuge sind im Museum ausgestellt.
Neben Handeln und Walrossjagen, hatte man im Dorf damals auch Zeit für Brettspiele: Im Museum gibt es eine alte Version des Spiels Hnefatafl, mit Spielsteinen aus Steinen oder Knochen. Der taktische Wikinger-Zeitvertreib entstand in Skandinavien und verbreitete sich durch Handel und Eroberungen in großen Teilen Europas. Irgendwann wurde es dann von seinem modernen Nachkommen verdrängt: Schach. ♖
Die Spielidee ist aber viel älter und wir verdanken sie wie viele andere Weisheiten den alten Griechen: Hnefatafl entwickelte sich nämlich aus einem römischen Strategiespiel, welches wiederum ein altes griechisches Spiel ablöste.
Das nachgebaute Wikingerdorf lag einen 20-minütigen Fußmarsch entfernt. Auf dem Weg zum Ausgang des Museums, kamen wir aber erst noch an einem weiteren Schiff vorbei. Diesmal kein Fund, sondern ein originalgetreuer Nachbau namens „Erik Steuermann“.
So ein 9 m langes und 2 m breites Ruder-Segelboot bestand damals vor allem aus Eichenholz, fasste bis zu 11 Personen (davon 10 Ruderer und 1 Steuermann) und konnte eine halbe Tonne Waren im Laderaum transportieren. Die flachen Boote mit langem Kiel waren nicht besonders wendig und eher darauf ausgelegt, schnell von A nach B zu gelangen. Heute ist man schon mit dem Fahrrad schneller, für damalige Verhältnisse war es aber ein Rennboot: Mit Ruderern schaffte man knapp 3 Knoten oder bis zu 10 Knoten (~ 18 km/h) mit ausgefahrenem Segel.
Das nachgebaute Dorf, ein Stück außerhalb des Museums, besteht aus sieben rekonstruierten Wikingerhäusern, die man durchstreifen und sich dabei vorstellen kann, wie man damals lebte. Spoiler: Nicht allzu bequem – und vor allem ziemlich dunkel.
Originalreste der Häuser gibt es schon lange nicht mehr. Die hauptsächlich aus Eichenholz gebauten Hütten waren durch das feuchte Klima nur wenige Jahre haltbar, bis sie morsch wurden und erneuert werden mussten.
Trotzdem galt die Stadt dank der Kaufleute und ihrer praktikablen Lage damals als reich und erfolgreich. Hier begegneten sich Menschen aus aller Welt, die sich sonst nicht so grün waren. Heiden, Christen und sogar Muslime feilschten um Gewürze, Schmuck, Wein oder sogar Pfirsiche. Aber auch tausende Sklaven wurden feilgeboten. Manchmal hatten Sklavenhändler sogar Nonnen im Angebot...
In der Hochphase lebten über 1000 Menschen in dem Handelsdorf, und zwar in relativ unsanitären Verhältnissen. Müll wurde unter anderem gern in die Schlei gekippt. Man vermutet deshalb, dass evtl. auch eine Umweltkatastrophe durch versuchtes Wasser zum rätselhaften Ende der Stadt beigetragen haben könnte.
Um das Jahr 1066 verschwand Haitabu plötzlich aus den Geschichtsbüchern. Weil nur wenige Quellen aus der damaligen Zeit überlebten, rätseln Forscher bis heute, was zu dem abrupten Untergang der Stadt führte.
– Quasi das Atlantis der Wikinger ...
Und so war unser Zweiwochensprint am Ostseeableger auch schon vorbei. Vor der Fahrt fanden wir noch einen verschollenen Drip-Bag von der Kopenhagener Kaffeemesse im Gepäck und schwangen uns frisch gestärkt in die Autositze Richtung Bremen.
Näher als Schleswig kamen wir dem Traum vom „Einmal-am-offenen-Meer-wohnen“ auf unserer Deutschlandrunde leider nicht. Beim Blick auf die Wohnungspreise an der Küste flüchtete unser Portemonnaie schreiend zurück in die Tasche. Außerdem waren wir mit drei Monaten Vorlauf viel zu spät dran. Wer vom Wohnzimmer aus Meeresluft schnuppern will, sollte am besten schon zu Weihnachten buchen. 🎄
Für uns stand zumindest wieder der Abstieg ins Erdgeschoss an: Vom schleswig-holsteinischen Turm in die verschlafene Häuserlandschaft in Niedersachsen. Mit einer Wohnung direkt in Bremen hatte es nicht geklappt – dafür durften wir als Nächstes einen Wintergarten testen. Wie sich dieses räumliche Accessoire mit sommerlicher Tropenhaus-Atmosphäre im Alltag macht, verraten wir nächstes Mal. 👋
Veröffentlicht 08.11.2025
Letztes Update 09.11.2025